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Nichtnatürlich

8. April 2016

Vor sechs Wochen habe ich hier über den Tod meines Sohnes geschrieben und gefragt, ob ich wegen der ungeklärten Todesursache überhaupt Antworten wissen will. Heute weiß ich, dass das eher eine philosophische Frage war und dass der Zeitpunkt schneller als geahnt gekommen ist, wo ich sehr wohl Antworten haben möchte.

Seit gestern halte ich das umfangreiche Obduktionsergebnis in Papierform in der Hand:

Todesart Nichtnatürlicher Tod

Zur weiteren Abklärung wird von der Staatsanwaltschaft noch ein Fachgutachten eingeholt:

Todesart Fachgutachten-

Bereits heute muss ich davon ausgehen, dass ein Pflegefehler ursächlich für die Klinikeinweisung war und es nun noch darum geht, ob zusätzlich ein Behandlungsfehler vorliegt, weil durch den Pflegefehler bedingte Symptome nicht erkannt worden sind. Mit anderen Worten: Der „kleine Mann“  ist nicht an den Folgen seiner Behinderung verstorben, weil irgendwelche Organe nach über 32 Jahren mit Medikamenten usw. ihre Arbeit eingestellt haben, sondern weil Menschen Fehler gemacht haben. „Seine Schicht war also noch nicht beendet“, das habe ich nun schriftlich. Die Staatsanwaltschaft wird jetzt klären, ob schuldhaftes – fahrlässiges, im Sinne von der nötigen Sorgfaltspflicht außeracht gelassenes – Handeln vorliegt. Das wird schwierig, weil eine Tat einer bestimmten Person zugeordnet werden muss und es keine Kollektivverurteilung gibt. Haftungsrechtlich hingegen können auch juristische Personen bzw. Gesellschaften pflichtig sein, was zivilrechtlich zu klären wäre. Aber lebendig wird er davon auch nicht wieder ….

Shit!

Nr. 420

20 Kommentare leave one →
  1. 8. April 2016 12:29

    Ich kann dir aus nachhaltigen Erlebnissen bestäigen.

    Das Leben ist eines der Schwersten. Hildegard

    Gefällt 2 Personen

    • 9. April 2016 07:12

      Moin Hildegard.
      Stimmt.
      Von „Oppa“ habe ich mir diesen Spruch gemerkt:
      „Das Leben ist am schwersten, drei Tage vor dem Ersten.“ Aber das hat er wohl ganz anders gemeint 😉
      Viele Grüße

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      • 9. April 2016 10:07

        Ja, das bezieht sich mehr auf die Penunse. Bei den kleinen Leuten mit geringem Einkommen hat das Gald nie bis zum Monatsende gereicht. Viele wissen gar nicht mehr, in welch ärmlichen Verhältnissen die Menschen so um den Anfang des vergangenen Jahrhunderts leben mußten. Besonders die mit Kindern.. Da gäbe es sehr viel zu erzählen und zu schreiben. Derzeit 10 Grad, die Sonne scheint und es soll noch wärmer werden. Siehste, das z.B. hat man nu umsonst. LG Hildegard

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      • 9. April 2016 10:35

        So isses. Mein Thermometer holt auf, ist jetzt bei 9, Tendenz steigend. Ich bin dann mal am Strand – „ganz umsonst“ 😉
        Viele Grüße

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  2. 8. April 2016 18:12

    Shit!

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    • 9. April 2016 07:14

      Moin Alter,
      das kann man wohl sagen. Shit. Und solange das nun nicht geklärt ist, werde ich auch noch nicht zur Ruhe kommen. Im Moment gibt es viele Gedanken, die in meinem Kopf hin und her schwirren.
      Viele Grüße

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  3. 9. April 2016 16:53

    Ach mann,
    das ist wirklich tragisch. Wenn ich das richtig verstehe, dann wird jetzt wegen eines fahrlässigen Tötungsdelikt ermittelt, und wenn ein Behandlungsfehler nicht konkret einzelnen Personen zugewiesen werden kann, dann bleibt die Tat ungesühnt?
    Hängt das vielleicht auch mit einer Überlastung in den Kliniken und Heimen zusammen, daß nicht die Zeit vorhanden ist, um sich besser kümmern zu können? Aber es stimmt, was immer nun noch folgen mag, es macht deinen Sohn nicht mehr lebendig.
    Laß uns in der nächsten Saison mal wieder wie früher zum Fußball gehen, wenn wir gegen Peine-Ost spielen. Ich habe mich damit abgefunden, daß es so kommt.
    Grüße von D aus H

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    • 10. April 2016 08:11

      Moin Doris,
      ja und ja. Jedenfalls so ungefähr. Es ist ein wenig kompliziert.
      Und nach 10 Jahren „Heimerfahrung“ könnte ich bald ein Buch schreiben – oder wie es ein Geschäftsführer einer großen Einrichtung mir einmal gesagt hat: „Alles was wünschenswert ist, ist nicht machbar.“ D. h., der Personaleinsatz muss refinanzierbar sein. Und das ist weniger ein Problem der Geschäftsführungen, sondern ein gesellschaftliches. Was ist die Gesellschaft bereit für die Pflegebedürftigen und Kranken zu zahlen? Die Mängel, zu wenig Personal und zu niedriger Verdienst, was alles diese Berufe nicht sonderlich attraktiv macht, werden seit vielen Jahren beklagt. Aber was hat sich großartig geändert?
      Viele Grüße von der Ostsee an den Maschsee

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  4. 10. April 2016 03:07

    Das tut mir sehr leid, lieber Sven.

    Es ist schon schlimm genug, wenn die Natur „auf den Kopf gestellt wird“, also Kinder, ob behindert oder nicht, vor den Eltern gehen.

    Dann noch diese Nachricht vom nichtnatürlichen Tod.
    Ich hätte es wohl auch eher nicht wissen wollen, aber da kann man ja nicht eingreifen, bei ungeklärten Todesfällen läuft die Maschinerie automatisch.

    Wie geht es dir mit dieser Nachricht?

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    • 10. April 2016 08:54

      Moin Ilanah,
      danke für deine Worte.
      Ja, im Moment beschäftigen mich die Gedanken über die Abläufe wenn ich abends ins Bett und sie sind wieder da, wenn ich morgens aufstehe.
      Einerseits will sich wegen der Umstände Wut in mir breit machen, anderseits habe ich spätestens von meinem buddhistischen Freund gelernt, dass „die drei Geistesgifte“ – Gier, Hass, Verblendung – schlechte Ratgeber sind. Ganz schlechte!
      Eine langjährige Freundin, selbst Fachpflegekraft, meinte zu mir, dass ich „moralisch eigentlich zu einer Aufklärung verpflichtet bin“, damit sich Fehler nicht wiederholen. Selbst wenn ich keine Antworten würde wissen wollen, ginge es doch auch darum, anderen Menschen das zu ersparen, was meinem Sohn widerfahren ist und was ich zurzeit durchmache. Das ist auch ein Aspekt, den ich nicht außeracht lassen kann.
      Shit happens.
      Richtig, „die Maschinerie“ läuft nun automatisch, jedenfalls was die staatsanwaltschaftlichen, sprich strafrechtlichen, Ermittlungen angeht. Das ist auch gut so. Nicht dass ich jemanden verurteilt sehen will, sondern das Verfahren dient der Aufklärung.
      Damit ergibt sich aber eine vertrackte Situation: Wenn nicht explizit dem Pfleger X und der Ärztin Y ein Fehler nachgewiesen werden kann und die Ermittlungen deshalb eingestellt werden, kann sich jede involvierte Person persönlich von jeglicher Schuld freigesprochen fühlen. Dann muss ich mir die Frage beantworten, ob ich „die Einrichtung“ zivilrechtlich verklage. Erst wenn das „erfolgreich“ geschehen sein sollte, ist der Fehler rechtskräftig bestätigt. Und erst dann wird es wahrscheinlich Veränderungen in den Abläufen geben, damit sich dieser Fehler zukünftig nicht wiederholt.
      Es könnte natürlich auch so sein, dass den einen oder die andere mittlerweile das „schlechte Gewissen plagt“ und jeder für sich mehr Sorgfalt walten lässt – aber soll ich mich darauf verlassen?
      Das ist die Situation so wie sie sich mir zurzeit darstellt. Und damit geht es mir nicht so gut.
      Aber irgendwie „wurschtele“ ich mich da schon durch 😉
      Viele Grüße von der Ostsee

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      • 10. April 2016 17:44

        Klar wuschtelst du dich da durch.
        Etwas despektierlich ausgedrückt: Es bleibt dir nichts anderes übrig, die „Maschinerie“ läuft.

        Ich selbst habe über 20 Jahre als Kinderkrankenschwester gearbeitet, aber ich kann die Meinung der Freundin von dir nicht teilen.
        Natürlich habe ich auch Behandlungs- und Pflegefehler erlebt.
        Und es fand immer ein Nachdenken, ein Verarbeitungsprozess statt. Also derjenige, der einen Fehler gemacht hat, der wußte es , der dachte nach, auch die anderen Beteiligten profitierten davon, ganz OHNE die „Maschinerie“.
        Wer unbelehrbar war, der lernte auch nichts dazu durch das Offenlegen, das Schuldzuweisen, das Verurteiltwerden des „Schuldigen“.

        Ich weiß nie, ob es typisch deutsch ist, oder menschlich ist, wenn man sofort nach einem Schuldigen schreit, wenn ein Unglück passiert.
        Braucht man ein Objekt, an dem man seine Trauer, seine Wut, seine Fassungslosigkeit abarbeiten kann? Es scheint so zu sein.

        Schaut man sich die Diskussionen um die ‚Loveparade und den Germanwingsabsturz an, dann scheint es so zu sein, die Hinterbliebenen wollen jemand, den sie an den Pranger stellen können.

        Dann gibt es die Eltern, deren Kind verschwand, dann tot aufgefunden wurde, sie drängen auf Aufklärung, sie wollen wissen, wie das Kind gestorben ist, was ihm widerfahren ist und sie wollen einen Täter.

        Teilweise kann ich das nachvollziehen, aber nicht alles, z.b. frage ich mich, was nützt es, wenn ich weiß, dass mein Kind gequält und gar zu Tode gequält wurde????

        Andererseits leben wir in einem Rechtsstaat, da ist es eben so, dass ein Schuldiger gesucht, gefunden und bestraft werden muss.

        Und die Angehörigen, so wie du, müssen sehen, wie sie mit den aufkommenden Gefühlen und Gedanken klarkommen.

        Ich wünsch dir ganz viel Kraft für die nächste Zeit, du wirst sie brauchen können, denke ich.

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      • 10. April 2016 18:53

        Danke.
        Ich glaube dass es ein rein menschliches Verlangen ist zu wissen, auf alle Fälle bei offensichtlichen Fehlern mit schwerwiegenden Folgen, ob es Verantwortliche gibt oder alles eine schicksalhafte Verkettung unglücklicher Umstände war, für die nicht einzelne Personen zur Verantwortung gezogen werden können.
        Für meine Trauerarbeit ist es wichtig das zu wissen, das weiß ich heute. Hingegen weiß ich heute noch nicht, wie ich ggf. damit umgehen werde.
        Auf die Ermittlungen der StA habe ich so wie so keinen Einfluss – und deren Ergebnis warte ich ab. Dann sehen wir weiter.
        Der Rest – siehe meine Antwort zuvor bei Doris – ist für mich im Grunde ein gesellschaftliches Problem: Was ist die Gesellschaft bereit für die Pflege der Kranken, Alten und Behinderten auszugeben?
        Zu „… z.B. frage ich mich, was nützt es, wenn ich weiß, dass mein Kind …“ kann ich dir nur sagen: „Ich habe eine Antwort, ich habe Gewissheit. Ich werde nicht jahrelang durch unbeantwortete Fragen gequält.“ Und so wir mir wird es vielen gehen, oder sollte ich „jedem“ sagen?
        Als ich unmittelbar nach dem Tod meines Sohnes und der von der StA angeordneten Obduktion gefragt habe, ob ich „überhaupt Antworten haben will“, hat eine Bekannte, eine erfahrene langjährige Sozialpädagogin und im Umgang mit Behinderten bewandert, mir gleich gesagt: „Sie werden Antworten haben wollen. Wenn nicht heute, dann morgen. Die Fragen kommen unweigerlich und dann ist es gut Antworten parat zu haben.“ Ich weiß heute, dass sie so was von Recht hat ….
        Aber wahrscheinlich entwickelt jeder in solch einer Situation seine eigenen Mechanismen, um damit umgehen zu können.
        Viele Grüße

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      • 11. April 2016 01:16

        Kann ich verstehen, dass das Wissen darum wichtig ist für deine Trauerarbeit.
        Ich denke, dass du, wenn es soweit ist, auch einen Weg findest, wie du damit umgehen kannst.

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  5. 10. April 2016 17:35

    Ich bin selber auch gerade einwenig in der Situation das man mich ev. falsch behandelt hat jedoch tue ich mir schwer irgend jemanden in die Pflicht zu nehmen. Sicher ist es schwer einen Verlust zu verschmerzen, aber Fakt ist da wo der Mensch seine Hilfe, seine Arbeit anbietet oder tut auch Fehler passieren und es fast niemanden nutzt nun auch dieses Leben zu erschweren, denn wenn es dem jenigen Bewusst ist das er in Schuld steht hat er genug damit zutun damit klar zu kommen.
    MfG
    Lucian

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    • 10. April 2016 19:23

      Moin Lucian,
      ja. Die Frage der Ethik. Aber auch die hat zwei Seiten, denke ich.
      Im Laufe der Jahre habe ich bei meinem Sohn zwei Pflegefehler miterlebt, die Krankenhausaufenthalte nötig machten. Ich weiß im ersten Fall nicht, einige Jahre her, ob sich die Krankenkasse an der Haftpflichtversicherung der Einrichtung schadlos gehalten hat. Im zweiten Fall, über ein Jahr her, steht die Antwort aus. Manche Mühlen mahlen langsam 😉
      Von mir aus bin ich jedenfalls bisher nicht tätig geworden – so ungefähr aus den Gründen, die du beschrieben hast. Auch weil ich weiß, unter welchem Stress das Pflegepersonal steht.
      Nun sieht die Situation aber etwas anders aus, ein Todesfall ist – für mich – emotional schwieriger zu verarbeiten. Außerdem habe ich auf die Ermittlungen der StA keinen Einfluss und für meine Trauerarbeit ist es mittlerweile schon wichtig zu wissen, ob es Verantwortliche gibt oder alles eine schicksalhafte Verkettung unglücklicher Umstände war, für die nicht einzelne Personen zur Verantwortung gezogen werden können. Wie ich ggf. mit den noch kommenden Antworten umgehen werde, weiß ich aber noch nicht.
      Warten wir’s ab ….
      Viele Grüße

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