Die Utopie einer liebevollen Welt …
2010. Ein Zugabteil. Hannes Wader und Konstantin Wecker im Gespräch – auf dem Weg zu einem gemeinsamen Konzert (Ausschnitt aus der 2011 erschienenen Doku-DVD Wader-Wecker-VaterLand).
Wecker: „Ich glaub‘ an den Menschen, ich glaub‘ an die Liebe, ich glaub‘ an das Mitgefühl, ich glaub‘ an das Gute – und d‘rum glaub‘ ich auch, dass wir eine herrschaftsfreie Welt anstreben können. Das ist eine Utopie, eine liebevolle herrschaftsfreie Gesellschaft des Miteinanders.“
Wader: „Das wünsch‘ ich mir, ich halte es für möglich … – aber da kommt was anderes ins Spiel: das ‚trotz alledem‘. Selbst wenn es nicht möglich sein sollte, ich habe das anzustreben, habe ich das zu versuchen, das zu verwirklichen. Ich habe mich so zu verhalten, als könnte es so eine Welt geben. Sonst kann ich nicht leben.“
Wader & Wecker, zwei Liederbarden, der Norddeutsche und der Bayer, als verwundbare Poeten in einer sich – bis vor 6 Wochen – unverwundbar gebenden Gesellschaft. Ihre Lieder von der Rebellion, ihr Eintritt für eine bessere Welt frei von Neofaschisten, haben den gesamten Dunstkreis der 68er-Generation geprägt – und sind heute vielleicht aktueller denn je. Ich frage mich, was die beiden Alt-Revoluzzer (Wader wird im Juni 80, Wecker 75) heute, 12 Jahre nach dieser Zugabteil-Szene, wohl sagen würden? So ähnlich wie der (1976 aus der DDR ausgewiesene) Liedermache Wolf Biermann, 2011, anlässlich seines 75., zu seinem Verhältnis zum DDR-Sozialismus(?): „Man muss den Mut haben sich zu korrigieren – und zwar nicht nur so unter der Bettdecke, heimlich, still, sondern richtig sagen: Ich bin nicht mehr meiner Meinung von gestern. … Ich wollte mit dem Herzen nicht begreifen, was ich im Kopf schon hatte begreifen müssen. Dieses Missverhältnis kennt jeder, der mal verliebt war.“
Hm, ja. Die Menschheit ist nun mal wie sie ist. Leider ist sie so. Es gibt unzählige Adjektive, die sie beschreiben. Von a bis z, von ambivalent über ideologisch, realistisch bis zynisch. Und doppelmoralisch. Das kann sie besonders gut. Vielleicht lässt sich der Mensch als Herdentier wider besseres Wissen durch Appelle emotional schnell dazu verleiten? Stichwort Schwarmintelligenz – „Die menschliche Dummheit ist international“, so drückte das Kurt Tucholsky aus. Ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, ob medial erzeugte Druck, beispielsweise jetzt sofort einen Importstopp von Energien aus Russland zu verhängen, von unserer Gesellschaft in Deutschland so geteilt wird? Noch einmal Kurt Tucholsky (Schnipsel, 1931): „Deutschland ist eine anatomische Merkwürdigkeit: Es schreibt mit der Linken. Und tut mit der Rechten.“ KT darf heute so interpretiert werden, dass es im Land zwar eine (linke) intellektuelle Schicht gab, die allgemeine Stimmung aber vom (rechten) Nationalismus geprägt war. Heute würden wir sagen: „Germany first. Our jobs are our money.“ Dem gegenüber steht, ich sage mal eine intellektuelle soziale Ebene aus politisch Verantwortlichen und Journalisten, die eher geneigt sind, moralisch motiviert zu agieren. Ich kann das sowohl als auch verstehen. Dabei frage ich mich:
„Was ist heute anders als vor 90 Jahren?“
Um nicht missverstanden zu werden: Ich bin durchaus, schon allein um meinen moralischen Ansprüchen gerecht zu werden, für einen Eisernen Vorhang. Nix mehr rein und nix mehr raus. Und nix heißt null, nothing, ничего. Einerseits. Anderseits bin ich auch bei KT und wenn die Regierung jetzt den Eisernen Vorhang runter lassen würde, wie es einige medial sehr präsente und prominente Stimmen fordern, dann passiert in Deutschland was? „Germany first. Our jobs are our money?“ Auf Platt haben wir hier an der Küste für solche Fälle einen Spruch:
„De klööksten Stüerlüüd sitt jümmers op’t Dröge!“ Dat is so, ich füge hinzu: „Und manche von denen kennen noch nicht einmal den Unterschied zwischen Steuerbord und Backbord, meinen aber zu wissen, wie man am besten ein Schiff steuert!“
Ja, ich kann gut schnacken, ich sitze im Trockenen, mir kann nicht viel passieren. Durch die schwere See müssen bei einem Energie-Stopp aus Russland die Kapitäne der kleinen und großen Wirtschaftsunternehmen steuern und hier und da würde ein Kahn untergehen. Und mit ihnen die Matrosen. Kollateralschäden? Das ist dann so? Schwierig. Leider leben wir nicht in einer so liebevollen Welt, dass wir mit Moral überall bezahlen können. Das wird immer eine Utopie, ein Wunschtraum bleiben. Vielmehr gilt, dass man sich Moral leisten können muss. Und manche leisten sich sogar eine doppelte.

893 [Inhaltsverzeichnis Sven Meier erzählt | Fotoblog]
Da gebe ich dir Recht! Die Menschheit kämpft zuviel! Sie versucht sogar, für den Frieden „zu kämpfen“.
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Moin Maren.
Tja, das ist wohl eine dieser Paradoxien auf unserer Welt, dass Menschen meinen, erst dem Nachbarn den Schädel einschlagen zu müssen, um Frieden zu haben. Und solange Menschen das meinen, werden wir keinen Frieden haben.
Grüße!
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Du weißt bestimmt noch, was wir damals vom Nato-Doppelbeschluss hielten.
Mit den Bildern heute aus der Ukraine frage ich mich mittlerweile, ob das uns das Aufrüsten damals nicht doch über viele Jahren den Frieden in Europa gesichert hat?
Der Westen, die Nato, hat die Sowjetunion in den 80ern praktisch totgerüstet. Danach haben wir die Friedensdividende eingefahren. So nannten wir das und viele von uns waren der Meinung, dass ein friedlicher Handel miteinander heißt, Frieden schaffen ohne Waffen. Heute sehen wir, dass das ein Trugschluss war. Russland hat sich erholt und zeigt uns in all seiner Grausamkeit was es heißt, aus der Position des Stärken einen Krieg vom Zaun zu brechen.
Muss sich die Geschichte wiederholen? Müssen wir wieder aufrüsten um den Russen zu zeigen, dass er mit uns nicht machen kann, was er will?
Wohl ist mir nicht bei dem 100 Milliarden für die Bundeswehr. Aber wenn es ganz offensichtlich nicht anders geht?
Ich habe gerade die Meldung gelesen, dass heute auch unser Bundespräsident Steinmeier Fehler in seiner Russland-Politik zugegeben hat. „Ich habe mich geirrt“ hat er gesagt. Und das „wir an Brücken festgehalten haben, vor denen unsere Partner uns gewarnt haben“.
Ich finde das alles Scheiße, alles, mit dem Krieg, den vielen Waffen, den vielen Opfern und Flüchtlingen und mit den Sanktionen auch.
Warum sind wir Menschen so? Warum schaffen wir es nicht in einer „liebevollen Welt“ zu leben? Warum müssen wir immer wieder kämpfen, auch für den Frieden. Und verdammt noch mal, es kann doch nicht verkehrt sein, wenn man versucht über gegenseitige Handelsbeziehungen in Frieden miteinander zu leben. Ich finde es nicht in Ordnung, wenn jetzt alle die aus ihren Löchern gekrochen kommen, die angeblich vorher alles besser gewusst haben.
Ja, ich habe mich auch geirrt. Muss ich heute leider sagen. Aber ich bin bei Wader, ich habe den Frieden ohne Kämpfe anzustreben, habe das zu versuchen, das zu verwirklichen. Ich habe mich so zu verhalten, als könnte es einen Frieden ohne Kämpfe geben.
D.
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Moin.
Dann sind wir ja schon zwei „bei Wader“ 😉
Wir hören uns ….
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Ach wie schön… ich habe den Wecker/Wader Film zwar schon mal gesehen, aber kann ich mir glatt noch mal angucken. Ich war auf unzähligen Wader-Konzerten und auch auf einigen von Wecker. Martin hat damals das große Wader/Wecker/Mey Konzert live erlebt. Wecker äußert sich ja immer noch, um Wader ist es still geworden.
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Moin!
Ach ja, das große Konzert vor 20 Jahren zu Waders 60. Für mich eine Sternstunde er deutschen Liedermacherei. Ich war zwar selbst, leider, im Juni 2002 nicht in Bielefeld, aber ich habe das Album, die limitierte Edition mit zusätzlich 3 Liedern vom gemeinsamen Auftritt der Drei bei der großen Demo gegen den Irak-Krieg im Februar 2003 in Berlin.
Stimmt, von Wader habe ich schon lange nicht mehr gehört. Also live, sein Musik schon. 2013 Kiel, 2014 Lübeck, wenn ich mich recht erinnere. Aber na ja, der Alte Mann wir demnächst 80. Ihm sei der Ruhestand gegönnt … und wir haben ja seine Lieder.
Viele Grüße!
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