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Der Tag danach …

10. November 2019

+++ Bitte auch den letzten Absatz lesen – Depressionen / Robert Enke +++

Der 9. November 1989 ist einer dieser geschichtsträchtigen Tage …

Bei allen Feierlichkeiten zum 9. November 1989 bitte den von 1938 nicht vergessen!

… und manch einer mag überlegen, wo er an diesem Tag vor 30 Jahren war, was er gemacht hat. Ich weiß nicht mehr, wie mein 9. November 1989 aussah. Der Kalender sagt mir, dass es ein Donnerstag war. Der Donnerstag war bei uns seinerzeit Sitzungstag und danach ging’s in die Kneipe zum Stammtisch. Dort gab es zwei Tabuthemen: Fußball und Politik. Mit anderen Worten: Das war in der Regel ein langer Tag mit gemütlichem Abschluss und eine kurze Nacht. So wird es wohl auch 1989 gewesen sein. Ich weiß aber noch, dass ich am nächsten Morgen aus irgend einem Grund relativ früh auf meiner Dienststelle war. Erst dort, am Tag danach, habe ich beim ersten zwingend notwendigen Pott Kaffee erfahren, was sich in den Abendstunden des Vortages ereignet hatte. Der Rest ist Geschichte ….

Landesgrenze – ehemals Staatsgrenze – auf dem Priwall / Travemünde: NIE WIEDER GETEILT

Wenn ich heute diese 30 Jahre zurück blicke, dann hat sich im Grunde wenig von dem bewahrheitet, was damals so vorausgesagt wurde. Gut, die Wiedervereinigung 1990 ja, aber der Rest? Statt der von Kanzler Kohl versprochenen blühenden Landschaften gab’s in den neuen Bundesländern die Treuhand – die durch den Verkauf der rund 10.000 Staatsbetriebe ursprünglich min. 600 Milliarden DM erlösen wollte, aber weit über 200 Milliarden DM Verlust machte – damit einhergehend eine hohe Arbeitslosigkeit im Osten, den bundesweiten Soli zur Finanzierung all dessen, den Wegzug vieler junger Menschen in den Westen und eine ganze Menge Frust. Verständlicherweise. Schnell wurden mit dem „Jammer-Ossi“ und dem „Besser-Wessi“ zwei Klischees geboren, die es sogar zu medialen Ehren brachten.

Und heute, am Tag danach, am Tag nach den vielen großen Feiern und noch größeren Reden anlässlich des Mauerfalls vor 30 Jahren? Die Klischees werden weiter gerne bedient – auch weil fast jeder vierte Wähler in den neuen Bundesländern mittlerweile eine rechtspopulistische Partei wählt. Glaubt man den Demoskopen, dann weniger wegen derer Inhalte – sofern überhaupt vorhanden, sondern mehr aus purem Protest. Ich möchte an dieser Stelle nichts werten und erlaube mir stattdessen zum Schluss einen Kommentar des Lesers Korf von der SPON-Seite zu kopieren:

Als jemand, der 89 vom ersten Tag an mit auf der Straße war, überkommt mich ein großes Unwohlsein. Es ist sehr seltsam, wenn jene, die damals unbeteiligt waren, heute große Worte glauben daraus ableiten zu können – und dabei den Eindruck vermitteln, die folgenden Prozesse wären logisch und folgerichtig und zum Besten aller abgelaufen. Wir jedenfalls wollten raus aus diesem Sozialismus, aber wir wollten sicher keinen Neoliberalismus, der alles Soziale einer Gesellschaft dem Nimbus des Ichs opfert.

Nun ja, eins frage ich mich dann doch: Wenn die Menschen in der ehemaligen DDR ihren SED-Sozialismus nicht mehr wollten, aber auch keinen Neoliberalismus, wie er von der CDU/FDP-Bunderegierung unter Kohl/Genscher praktiziert wurde, wie erklärt sich dann das BTW-Ergebnis vom 2. Dezember 1990? Das habe ich damals am Tag danach schon nicht verstanden und die LTW-Ergebnisse von heute verstehe ich ebenso wenig ….

Robert_Enke_t_b500Noch etwas ganz anderes an diesem 10. November: Heute vor 10 Jahren beendete Robert Enke unweit seines Wohnortes Himmelreich (bei Neustadt a. Rbge., Nds.) durch einen Suizid sein Leben. Robert Enke war einer der besten Fußballtorhüter seiner Zeit. Er litt unter Depressionen. Bis heute ist er eines der prominentesten Opfer dieser tückischen Krankheit, die weitgehend noch tabuisiert und missverstanden wird. Der NDR hat sich im Zusammenhang mit Robert Enkes 10. Todestag dazu entschieden, über das Thema Suizid zu berichten, um für die Krankheit Depression zu sensibilisieren. Gut so. Durch Erfahrungen aus meinem nahen Umfeld weiß ich, dass eine Depression jeden treffen kann – und ich bitte unbedingt alle Betroffenen, sich professionelle Hilfe zu holen! Es muss und soll niemals für die Angehörigen einen traurigen Tag danach geben! NIEMALS!

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7 Kommentare leave one →
  1. 10. November 2019 08:38

    Die Novembertage vor 30 Jahren waren wir von der schreibenden Zunft ständig in Bereitschaft. Uns war klar, dass etwas passieren würde, nur nicht was. Darüber wollten wir berichten.
    Am 10. November wurden die ersten Trabis in Peine gesichtet und wir waren hinter jeder Story her. Das war Hochkonjunktur für die Presse.
    Zurückblickend teile ich deine Auffassung. Ich möchte dazu an folgendes erinnern:
    Der 1990er SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine warnte damals vor den Kosten der Einheit und brachte dafür Steuererhöhungen ins Spiel. Das war zwar, wie sich später herausstellte, absolut richtig, aber im Wahlkampf ebenso unpopulär. Aus den von Kohl im Wahlkampf versprochenen „blühenden Landschaften“ wurde im Frühjahr 1991 eine Steuererhöhung. Als es den Menschen in Westdeutschland ans Portemonnaie ging, wich die Wiedervereinigungsfreude langsam der Ernüchterung, ebenso wie in den neuen Bundesländern, wo ein maroder Betreib nach dem anderen seine Tore mangels Konkurrenzfähigkeit schließen musste und die Leute in die Arbeitslosigkeit entlassen wurden.

    Gefällt 2 Personen

    • 11. November 2019 09:26

      Moin. Das stimmt. Man stelle sich nur einmal vor, so rein hypothetisch, die SPD hätte damals die Wahl gewonnen und Lafontaine wäre Kanzler geworden …. Ich gebe zu, dazu gehört schon sehr viel Phantasie 😉 Ok, vergessen wir das 😉

      Gefällt 1 Person

  2. giskoe permalink
    10. November 2019 09:42

    Wenn ich diesen Beitrag lese, kann ich richtig depressiv werden: Der ganze Rummel um die Annexion der DDR geht mir gewaltig auf die Nerven, weil das Thema am Thema vorbei geht (so wie es im Kommentar vom Korf steht)! Deshalb ist es besser, in diesem Zusammenhang auf die Nichterfüllung des Grundgesetzes Artikel 146 (https://dejure.org/gesetze/GG/146.html) hinzuweisen.
    Eine Hervorhebung zu diesem Tag wären die Stolpersteine anläßlich der Reichsprogromnacht 1938 eher wert gewesen.

    Gefällt 1 Person

    • 11. November 2019 09:48

      Moin Giskoe. Die Mauerfall, die vertragliche und die tatsächliche Wiedervereinigung sind ein Teil der Realität, auf die es wahrscheinlich auch in nicht so ferner Zukunft noch verschiedene Sichtweisen geben wird. Und manche davon verstehe ich nicht. Ja, einerseits schon, nur erscheinen sie mir im nächsten Moment nicht schlüssig sondern inkongruent zum Handeln zu sein.
      Grüße von der Ostsee!

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